Disruption – eigentlich war es 2015 das neue Wirtschaftswort und wurde bevorzugt von jungen Unternehmen, den Startups, verwendet. Ganz neu, Ganz toll und einfach anders.
Und jetzt in der Krise ist es auf einmal auch da. Nur sprechen wir jetzt nicht von der disruptiven Technik, sondern einfach von Brüchen, es geht um Störung, Unterbrechen, ums Spalten, Zersprengen, Zerreißen und Zerstören. Und das ist genau das, was wir in der Folge erleben: Abstand, Distanz, Isolation und Disruption.
Wir sind von so vielen Veränderungen umgeben, dass wir manchmal nicht mehr begreifen, was mit uns passiert. Unwirklich – und doch wirklich.
Als erstes gehen wir auf Abstand, mindestens 1,5 Meter, dann wird jede körperliche Berührung unterlassen. Als nächstes kommen die Masken, die unseren Mund verdecken – Emotionen verschwinden hinter Stoff. Lächeln oder Wut, Vertrauen oder Hass. Freundlichkeit oder Anfeindung? Erst wenn die Sprache kommt, wenn man die Stimme hört, kann man vielleicht wieder einordnen und verstehen, was dahinter steckt.
Und doch ist da noch etwas ganz anderes: auf einmal ist da das Denuzieren, geschützt hinter der Maske. Auf einmal kommen alte Muster hoch: denunzieren, anzeigen, verraten. Und da entdecken wir das bisherige Gegenüber neu, doppeldeutig, ein zweites Gesicht. Welches ist das Wahre? Wir entdecken, was man hinter der Maske alles verstecken kann – ohne Worte. Was wie Vertrauen aussah, entpuppt sich als oberflächlich, was sich wie Freundschaft anfühlte, verliert die Tiefe, Nähe wird Zurückweisung. Disruption – ein Wort – „dis“ im Lateinischen immer die Vorsilbe zu etwas Trennendem: Bruch. Beziehungen brechen, Vertrauen bricht, Ehrlichkeit wird mindestens zu Schweigen, wenn nicht gar zu Lüge. Freundschaften werden in Frage gestellt – was sich bewährt hat, gilt nicht mehr – Disruption ist eine radikale Neugestaltung der fundamentalen Spielregeln! Und alles geht so schnell, von jetzt auf gleich, vielleicht sogar gerade wegen der disruptiven Technik.
Ist es gerade diese disruptive Technik, die schnell, rasend, überall und sofort alles möglich macht. Eine SMS ist sofort da, eine Spekulation sofort in die Welt geschickt, eine Beschimpfung hinausgeblasen. Vielleicht hat doch derjenige Recht, der gesagt hat, das Virus greift als erstes das Hirn an: zuerst Aktion, dann Denken – zu spät. Es wird schon als Trumpismus betitelt und meint „to trump“ – auftrumpfen, übertrumpfen, ausstechen. Twitter – kurz und schmerzlos (und schamlos) hinausgeblasen. Disruption. Die Welt nach Corona – die Maske reißt heute schon manchem die „innere Maske“ herunter. Es beginnt jetzt auf fatale Weise – und wir erleben es ausgesprochen schmerzlich.
Die Maske bringt es an den Tag. Sie verändert die Gesellschaft. Abstand – Distanz – Isolation – Disruption.
Und doch kann in jedem Bruch auch ein Aufbruch, die Chance zu einem Neuanfang liegen. Krise als chinesisches oder japanisches Schriftzeichen besteht aus den Teilen „Gefahr“ und „Chance“. Disruption zielt dann aber auf einen Neuanfang ab.Disruption als eine radikale Neugestaltung der fundamentalen Spielregeln! Also nicht im Zurück zu dem Gewohnten“, das wir als das Normale wähnen, sondern nach vorne eben mit neuen Spielregeln. Wir legen eine Maske auf – um in eine neue Haut, in ein Neues uns zu entwickeln. Wenn viele sich den „Normalzustand“ wünschen, dann bedeutet das nur „zurück in den Zustand, den wir vor Corona hatten“. Und diesen Zustand gibt es nicht mehr, Gewohntes ist Vergangenheit. Das „Normale“ war gestern. Aufbruch bietet eben auch die Chance, das Bisherige zu verändern und mit neuem Sinn und Verhalten zu füllen. In diesem Sinne gerne disruptiv denken und handeln: aufbrechen, sich auf den neuen Weg machen.