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Über Schreiben und Schrift

Handschrift – ist wie eine Spur, die in unser Inneres führt

… und dieser Spur zu folgen, ist ein spannendes Kapitel. Wie viel und wie sehr darüber diskutiert wird, füllt sicher schon viele „gedruckte“ Seiten und Bücher. Gerade in den letzten Wochen sind einige Artikel in Zeitungen erschienen, Beiträge abgedruckt und Konferenzen durchgeführt worden. Nicht ohne Grund, denn selbst in unseren Kursen und Workshops im Schrifthof sehen und erleben wir Kinder, Jugendliche und inzwischen auch viele Erwachsene, die sich schwer tun, mit der Hand zu schreiben. Als erstes bemerken wir die ungelenke Schrift, oft nicht mehr lesbar und fürchterlich anzusehen. Krakelig, hakelig, zusammengestoppelt, keine fließenden Linien und Formen. Man könnte schon fragen, wie mag es wohl im Inneren dieses Menschen sein. Und dabei ist es in erster Linie eine Frage der Übung, des Trainings oder bei Kindern eher die Annahme: sie haben nie richtig schreiben gelernt.

Die Autor*innen Anna-Lena Scholz und Ulrich Schnabel titulieren in DIE ZEIT vom 26.09.2019 sehr treffend die Wirkung des Handschreibens: „Die Anspitzung des Denkens“ und ergänzen noch im Untertitel, „die Welt ist besser zu begreifen, wenn man sie sich Strich für Strich erschließt.“

Im folgenden einige Zitate und Gedanken aus dem Artikel. 

So erklären Kognitionsforscher, „dass das von Hand Geschriebene ‚plurimodal‘ – auf mehreren Ebenen – gespeichert werde:Wenn das Gehirn die Bewegung der Hand mit den erlernten Buchstaben verbindet, werden mehr und größere Netzwerke im Gehirn aktiviert als beim bloßen Tippen. Denn die Strichführung mit der Hand ist wesentlich anspruchsvoller als das Hämmern auf eine Tastatur. Handschrift erfordert größere feinmotorische Fertigkeiten und eine viel stärkere Differenzierung. Dadurch prägen sich die unterschiedlichen Buchstabenformen dauerhafter ein.“ 

„Wer mit der Hand schreibt, scheint auch Informationen besser sortieren zu können.“ In einem Experiment wurden mit zwei Gruppen von Studierenden die Wirkungen von Notizen bei Videovorträgen untersucht. Eine Gruppe machte die Notizen per Hand, die andere per Laptop. Beide Gruppen konnten die Fakten gleichermaßen wiedergeben. Bei Verständnisfragen konnte die Gruppe mit den handschriftlichen Notizen die Verständnisfragen und die komplexen Zusammenhänge der Vorlesung besser erklären. „Durch das – motorisch langsamere – Schreiben per Hand waren die Studierenden Gezwungen, die Informationen von vorneherein stärker auszuwählen und in eigenen Worten wiederzugeben. Sie hatten den Stoff stärker durchdrungen, wohingegen die schnellere Tastaturschreibenden nahezu wörtlich mitgetippt, aber weniger mitgedacht hatten.“ Schon in der Handbewegung wird das Denken vorgeformt und die Gedanken beginnen zu fliegen.

Gerade für Kinder ist es deswegen wichtig, dass sie haptisch lernen und Buchstaben im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal begreifen müssen. Verschiedene Studien zeigen, dass Kinder Buchstaben wie d und p oder b und q leichter auseinanderhalten können, wenn sie diese mit der Hand schreiben statt sie zu tippen.

Wenn wir Handschrift sehen, machen wir uns ein Bild von der Person, denn die eigene Handschrift ist zeitlebens ein Abbild unserer Persönlichkeit. Die Handschrift ist wie eine Spur, die in unser Inneres führt. Gerade deswegen haben handgeschriebene Briefe eine so große Bedeutung für die Kommunikation, denn sie enthalten und zeigen auch noch die innere Bewegung des Schreibenden, die Emotionen. Handschriftliche Mitteilungen, Nachrichten, Grüße und Gedanken sind daher große und wichtige persönliche „Geschenke“ für den Empfänger. Getippte und gedruckte Texte bleiben distanziert und vom Schriftbild distanziert.

Handschrift braucht Raum und Zeit sich zu entwickeln. Und Training.

 

Quellen und Links zur Diskussion Handschrift

Hands on! Schreiben lernen, Poesie machen„, die Ausstellung im Literaturarchiv Marbach läuft vom 29. September 2019 bis 1. März 2020

Einen Überblick über die Studienlage gibt der Faktencheck „Handschrift in der digitalisierten Welt“ (PDF) des Mercator-Instituts (Köln, 2019)

Zum Thema Handschrift gibt es unter anderem:

Einige ausgewählte Studien:

Autoren und zum Schreiben im Allgemeinen:

  • Ilse Aichinger: Verschenkter Rat. Gedichte [1978], Fischer 2008, S. 39.
  • Hans Magnus Enzensberger, Jan Bürger: Kritzeln, schreiben, wischen. Ist die Epoche der Handschrift vorbei? Ein Gespräch, in: Hands On! Schreiben lernen, Poesie machen, hg. v. Heike Gfrereis und Sandra Richter [Marbacher Magazin 167], S. 27-37.
  • Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe. Bildungsroman, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2013.
  • Sandro Zanetti (Hg.): Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte, Berlin: Suhrkamp 2012.
  • Heike Gfrereis und Sandra Richter: Vorwort, in: Hands On! Schreiben lernen, Poesie machen, hg. v. Heike Gfrereis und Sandra Richter [Marbacher Magazin 167], S. 7-23
  • Sonja Neef: Schleifen lassen. Über die Zweihändigkeit der Handschrift, in: Heike Gfrereis (Hg.): Interpretation Lassen. Marbach: Deutsches Literaturarchiv 2008, S. 13-25.
  • Christine Nelson (Hg.): Zauber der Schrift. Sammlung Pedro Corrêa do Lago, The Morgan Library & Museum, Taschen 2019.
  • Christine Lubkoll, Claudia Öhlschläger (Hg.): Schreibszene. Kulturpraxis – Poetologie – Theatralität, Freiburg i.Br.: Rombach 2015