Der Blick zurück auf unsere Reise nach Venedig, zur Biennale 2017, auf die Rundgänge durch Giardini und Arsenale, rückt die Wahrnehmung und Wirkung einzelner Pavillons ins Gedächnis. Nach dem Besuch der Biennale 2015, die sicher politischer als die aktuelle war, richtete sich mein Blick besonders auf die Darstellungen der Schweiz, von Venezuela, Argentinien, Italien und Griechenland.
Der Deutsche Pavillon und die umfassende Inszenierung von Anna Imhof zeigte sich mir vor allem in der Doppelbödigkeit des Titels „Faust“ und der Gestaltung des Pavillons. Die Mischung aus Darstellern und Besuchern, der Begegnung zwischen Akteuren und Betrachtern, der emotionalen Darstellung von Räumen und Szenen. Zu Recht eine der interessantesten Arbeiten der Biennale.
Venzuela: Juan Cazadilla
In kalligraphischen Arbeiten stellt Juan Cazadilla die Beziehung zwischen menschlichen Gefühlen und ihrer schriftlichen Anmutung dar. Durch „Ausbrechen aus dem Rahmen der Form“, den menschlichen Körpern nachempfunden , versucht er mit der Kraft des Schreibens, mit typographischen Zeichen die politischen und ästhetischen Aspekte des Lebens zu kombinieren und nachzuzeichnen.
Schweiz: Alberto Giacometti und Flora Mayo
Das Künstlerpaar Teresa Hubbard / Alexander Birchler zeigt die Filminstallation «Flora». Es ist die Geschichte der unbekannten, amerikanischen Künstlerin Flora Mayo, die in den 1920er Jahren zeitgleich mit Giacometti in Paris studiert hat und dessen Geliebte war. In einem ausführlichen Gespräch mit dem Sohn von Flora Mayo sowie in spielfilmartigen Szenen verknüpfen, rekonstruieren und reimaginieren sie Flora Mayos Leben und Werk. Es ist eine indirekte und für mich sehr beeindruckende Würdigung zweier Menschen und insbesondere Alberto Giacomettis, der zeitlebens nie im Schweizer Pavillon, den sein Bruder Bruno entworfen und gebaut hat, ausstellen wollte.
Griechenland: Laboratory of Dilemmas
George Divas inszeniert in einer umfangreichen Video-Arbeit (bestehend aus vielen einzelnen Versatzstücken) die Problematik eines medizinischen Experimentes und schildert das Dilemma der Entscheidung. Das Stück geht zurück auf die Tragödie „Die Schutzflehenden“ des Ayschilos und spiegelt den moralisch-politischen Konflikt und das damit verbundene Dilemma. Irritierend und anmaßend die Argumente der „alten“ Wissenschaftler, der Financiers, der Bedenkenträger, denen gegenübergestellt die Vorsicht der Bedächtigen, der Verantwortungsbewussten, der kritischen. Das Dilemma in seiner Ausweglosigkeit räumlich sehr plastisch dargestellt durch die verwinkelten Gänge in einem schwarzen Labyrinth. Welchen Weg führt hinaus aus dem Dilemma?
Maria Lai – Lenzuolo
Maria Lai widmet sich in ihren Arbeiten ganz der Darstellung von imaginären Landkarten und Büchern. Ihr Werkzeug ist die Nähmaschine, mit der sie ihre Weltkarten näht und ihre Texte in ihre Bücher schreibt. Es entsteht ein Kosmos, der von den farbigen Fäden zusammengehalten wird und seine Geschichten verwoben erzählt.
Claudia Fontes – The Horse Problem
In dem Gebäude in Arsenale, in dem früher Waffen insbesondere Kanonen hergestellt wurden, hat Claudia Fontes ihr Werk integriert. Die riesige und mächtige Gestalt des Pferdes steht der geradezu zierlichen Figur des Mädchens und der nachdenklichen Haltung des am Boden kauernden Jungen gegenüber. Sie spricht die Kraft und Energie des Pferdes an, die notwendig war, um die Gebäude von Arsenale in der damaligen Zeit zu errichten, sie adressiert aber auch die Funktion des Gebäudes, in dem Kanonen und Kanonenkugeln hergestellt wurden. Sie symbolisiert mit diesem gewaltigen, drängenden Ross die „Macht“, mit der in Arsenale ab dem 13. Jahrhundert in der ersten systematische Aneinanderreihung von Werkstätten Ausrüstungen für die Kriegsschiffe angefertigt wurden. Das Pferd steht damit auch als Symbol für Kapitalismus und Kolonialismus, für Macht und Kampf.
Roberto Cuoghi – Imitazione di Christo
Man betritt den Italienischen Pavillon und steht einer großen Maschine gegenüber. In einer nahezu industriehaften Produktionsumgebung werden Körper hergestellt, die den gekreuzigten Christus imitieren. In haltungsgerechten Formen werden die Körper eingelegt, dann in den runden Luftkissenräumen wie in kleinen Kapellen abgelegt oder aufgebahrt. Je weiter man durch den Gang fortschreitet, desto verfallener wirken die Körper, bis sie an der Wand des großen Raumes nur in ihren Bestandteilen aufgehängt sind. In kleinen Kammern, die an Backöfen erinnern, werden die Köpfe „gebacken“ und dann an die geformten Körper angesetzt.
Es war für mich eine der nachdrücklichsten Installationen, und es mag sicher meine eigene Interpretation dieser Arbeit sein, die meine Gedanken sofort auf die ertrunkenen Flüchtlinge, die Aneinanderreihung der Toten, wie sie in Sizilien ankommen, lenkten. In diesem Sinne für mich eine politisch starke Arbeit.