Heute kein Coffee-to-go
Keine Zeit verlieren – geschwind, schnell,
ASAP – Kassel 2017 – Biennale Venedig 207 – Marina Assabi schafft in Kassel einen leeren Raum, ausgelegt mit einem roten Teppich. Darauf liegen Menschen, liegen den Besuchern im Weg, versperren den Weg, beharren auf dem Raum um sich herum. Eigentlich ist es nur ein Durchgang, eine Passage, ein Transitbereich, den Liegenden wird kaum weitere Beachtung geschenkt: sie haben ihren Raum, also gehen wir um sie herum. Wer versteht schon, dass sich uns da jemand in den Weg legt, unsere Schritte bremst?
„Faust“ im Deutschen Pavillon in Venedig – als wenn es ein Vorgriff auf das ist, was uns und unsere Welt gerade prägt. Zweiergruppe, Vereinzelte, verharrend, im Gespräch, diskutierend, schon fast auch aggressiv. Sie aggieren in ihrem Raum, nehmen sich den Raum zwischen den Besuchern. Fast wie unsere heutigen Choreographien in den Parks, im Wald auf den Gehwegen, auf den Wiesen und Pätzen. Abstand zueinander, jeder hat seinen Raum, schleppende Bewegungen, einige laufen, traben, manchen sieht man es an, dass sie keine Jogging-Erfahrung oder -Übung haben. Einsamkeit, Macht, Kontrolle, Freiheit mit Beschränkung.
Manchmal sagt man ja, Kunst nimmt voraus, was dann passiert. Hier könnten wir es bestätigt finden. Unwirkliche Wirklichkeit.
Und bisher war alles anders. ASAP – eine Kurzformel, die ich immer gehasst habe: schnell, schnell – wann bist Du endlich fertig? Wir müssen schnell fertig werden. Wann soll es fertig sein? ASAP – as soon as possible. Eigentlich gestern. Schneller, höher, weiter. Die Knechte müssen ranklotzen. Den Kaffee trinken wir im Gehen, wir essen Fastfood, wir schreiben SMS – Kurzmitteilungen. Ausführliches Formulieren und vorher vielleicht denken – Nachdenken. Geschenkt. Vergiss es! Keine Zeit. Kapitalisierung: Zeit ist Geld.
Und plötzlich: Halt. alles steht auf Stopp. „slow food“ war schon vorher da. Da besinnt sich der Eine auf Dr. Faustus, der andere auf das alte griechische Alphabet, Anne Imhoff in Venedig realisiert „Faust“, Marina Assabi breitet den großen, roten Teppich aus, schafft einen eigenen Raum und liegt gleichzeitig anderen im Weg.
Und schon tönen die Trompeten wieder: Exit, Weitermachen, Geld verdienen. Lasst es Euch gesagt sein: wenn die Pandemie erst vorbei ist, dann müssen wir so richtig ranklotzen, alles aufholen. Umdenken? Wer kommt denn auf so eine Idee?
Habt Ihr den Ruf des Kuckucks schon gehört???
Welche Bedeutung doch der Kuckuck hat? Er ist für die Schulden und Pünktlichkeit zuständig. Seinen Ruf zu hören, war in der Vergangenheit doch eher so am Rand und nicht bewusst. In der Hektik des Tages, im Getriebe, in der Eile und Hetze ging es doch einfach unter. In seinem Buch „Manieren“ habe ich gelesen, welche Erfahrung Asfa-Wossen Asserate in seiner Kindheit mit dem Kuckuck gemacht hat. Als äthiopischer Prinz genießt er deutsche Erziehung. Die deutsche Tugen der Pünktlichkeit kam ihm etwas Altertümlich vor. In Afrika galt als der deitscheste aller deutschen Gegenstände die Kuckucksuhr. Auch seine Familie besaß eine Kuckucksurh, die die Kinder begeisterte, ohne dass sie ahnten, welch ein strenger Vogel der Kuckuck wr, der sie verleitete, viel Zeit vor seinem Gehäuse zu vertrödeln, um sein schnarrendes Hervorschießen und seine Ruf nicht zu verpassen. Der Kuckuck ersetzt im Wohnzimmer den Glockenschlag: Pünktlichkeit. Und damit geht dann in den späten 60ger Jahren die Ökonomisierung einher: das reiche und unbeschränkte Geschenk Zeit, jeder Lebensaugenblick, jeder Gedanke und jeder Genuss wir in Beziehung zu Geld oder dem geldwerten Vorteil gesetzt. Und Geld wird systemrelevant – das erste Mal in der Finanzkrise. Jetzt wird Gesundheit systemrelevant. Und doch hat es eigentlich immer mit Leben zu tun.
Zeit, wo wir doch in der Vergangenheit davon nicht genug hatten bzw. sie anders gemessen haben. Jetzt ist auch die Zeit durcheinander geschüttelt – und es lohnt sich, bei einer Tasse Kaffee einmal darüber nachzudenken und zu lauschen, ob wir den ersten Ruf des Kuckucks im Frühling hören. Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern bittet uns, doch auf den Kuckuck zu lauschen und den ersten Ruf mitzuteilen. Da bewegt die Frage, ob der Klimawandel einen Einfluss auf seinen Bestand hat, denn: Die Arten, in deren Nester der Kuckuck seine Eier legt, kommen immer früher aus ihren Winterquartieren zurück. Eine Anpassung an den Klimawandel? Der Kuckuck tut das bisher nicht. Ist er in Zukunft zu spät, um noch geeignete Nester für seine eigene Eiablage zu finden?
Was hat das alles mit Kalligraphie zu tun? Wir sind doch auch so etwas wie ein Kuckuck. Wir schreiben mit der Hand! Im Zuge der Digitalisierung total out. Wir sind langsam, mit der Hand schreiben dauert zu lange – vor allem, wenn es lesbar sein soll. Zeit zum Schreiben – Altertümlich. Langsam Schreiben und dabei vielleicht noch denken – überholt. Kurz und möglichst einsilbig muss es sein. Sonst dauert es zu lange. Kurz und schmerzlos … und gerade mit dem Homeoffice bemerken viele, wie missverständlich das verknappte Schreiben sein kann.
Neben slowfood gekört auch das Handschreiben, Handlettering und jetzt das Homelettering wieder zu einer Hauskultur: Zeit für Schreiben – eine gute Übung für die soziale Begegnung. Kurznachrichten sind wie Lächeln hinter der Maske: undurchschaubar und irritierend. Distanz schaffend – schreibt doch la wieder einen schönen Liebesbrief. Bei uns steht eine ganze Kiste – damals noch eine wertvolle Liebeskunst.