Biennale Venedig 2019
May You Live In Interesting Times
Eindrücke und Bilder vom Besuch der Vielzahl von Kunstwerken in Pavillons, Häusern, Orten und Räumen – Juni 2019
An den Anfang meines kurzen Berichts stelle ich zwei Eindrücke Orte und Werke besonders heraus, die für mich die politische Bedeutung von Kunst, die Auseinandersetzung mit aktuellen Ereignissen und Strömungen sowie das Realisieren einer Idee ausdrücken.
Pavillon von Venezuela
Gleich nach Eintritt in Giardini stehe ich vor dem Pavillon von Venezuela. Zur Eröffnung der Biennale teilte die Presse mit: „Der Pavillon von Venezuela kann wegen der politischen Entwicklungen nicht geöffnet werden“. Ein wenig später erfährt man: „Auch in diesem Jahr wurde der venezolanische Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig eingeweiht, obwohl er sich aufgrund der durch das US-Embargo verursachten Schwierigkeiten verspätete. An der Veranstaltung nahmen der Vertreter der bolivarianischen Regierung, Ernesto Villegas Poljak, – Minister für Poder Popular para la Cultura, Kurator der Ausstellung Oscar Sotillo Meneses, und drei der vier Künstler teil, die ihre Werke ausstellten: Natalie Rocha, Ricardo García und Gabriel López (während Nelson Rangel nicht anwesend sein konnte). Sie alle betonten die Bedeutung der Präsenz ihres Landes an einem Ort, der Biennale, die einen Vergleich und Dialog zwischen Kulturen aus aller Welt ermöglicht. Kunst ist eine Gasse des Friedens und das Verschließen der Türen zur Kunst ist ein Verbrechen gegen die Völker und deren Kommunikationsbedürfnis. Die venezolanischen Künstler wollten mit ihren bedeutenden Werken die Aufmerksamkeit auf grundlegende und äußerst aktuelle Themen lenken, wie Migration, die duale Natur der Sprache, die Beziehung zwischen dem Menschen und die Herrschaftsstrukturen, die die Natur verwandeln.“
Barca Nostra
Christoph Büchel
Natürlich war es reiner Zufall, dass ausgerechnet in dem Moment, als ich vor dem gehobenen Flüchtlingsboot stand, die Flugstaffel die italienischen Farben in den Himmel blies.
Alleine sich vorzustellen, wie mehr als 800 Menschen in diesem Schiffsleib zusammengepfercht sein konnten, als das Boot am 18. April 2015 zwischen der libyschen Küste und der Insel Lampedusa bei der Kollision mit dem zur Rettung eingetroffenen portugiesischen Frachter sank. Christoph Büchel hat es in zähen und langwierigen Verhandlungen durchgesetzt, dass das Boot nach Venedig gebracht und aufgestellt werden konnte. Nicht nur für Italiens rechtspopulistischen Innenminister Matteo Salvini ist es ein Ärgernis, auch aus der Kunstwelt kam Kritik an diesem Objekt. Für viele, die Geschichte des Wracks nicht kennen, steht es eigentlich unspektakulär neben dem alten verrosteten Kran – ohne Hinweistafel und ohne Nennung des Initiators.
Ob es nun Kunst ist oder ob nicht auch eine Kunstausstellung politische Signale setzen muss – spektakulär und provokativ – darüber lässt sich sicher streiten. „Aber ganz ohne ein kritisches, möglichst noch medientaugliches Symbol kommt heute keine Biennale mehr aus, die sich nicht vorwerfen lassen will, die großen Krisen der Zeit übersehen zu haben.“ schreibt das Kunstforum 261. Gerade unter dem Slogan May You Live In Interesting Times muss die bedrohliche Massierung der globalen Überlebensprobleme auch in einer solchen Biennale genannt werden.
Ankersentrum
Natascha Sadr Haghighian – Deutscher Pavillon
Der Beitrag von Natascha Süder Happelmann, die eigentlich Natascha Sadr Haghighian heißt, im deutschen Pavillon ist auf den ersten Blick nicht zu verstehen. Sie spielt mit dem Titel Ankersentrum auf die umstrittenen, für die Abschiebung von Asylbewerbern eingerichteten Ankerzentren in Bayern an. Man steht vor der grauen Wand, den Steinen, die im Raum verteilt liegen, und dem braunen Band. Erst wenn man sich die Form der Wand anschaut und sich klarmacht, was sich dahinter befinden könnte, kommt einem das Bild einer Staumauer, aus der ein dünnes Rinnsal in einem Flussbett, durch die Steine angedeutet, langsam versiegend träge läuft.
Während Christoph Büchel das Symbol für das vergangene Ereignis zeigt, lässt Natascha Sadr Haghighian mit der Simulation offen, ob sie das Versiegen des Flüchtlingsstromes oder die massive Mauer gegen den Strom adressiert. Und ob der Damm halten wird, könnte auch als eine Andeutung einer drohenden Überschwemmung verstanden werden.
George Condo
1957 in Concord, New Hampshire geboren, ist als Maler der postmodernen Kunst zuzurechnen. Er lebt seit den 1980ern in New York.
Das Gemälde Double Elvis hängt im Eingansbereich des Arsenale. Es nimmt Bezug auf das gleichnamige Gemälde von Andy Warhol in Silber und Weiß. George Condo zeigt etwas Vergleichbares: Obdachlose Bettler, die wie gute alte Freunde mit Flaschen anlässlich eines Wiedersehens anstoßen. Gemalt hat er das drei mal vier Meter große Werk mit schwarzer Farbe auf Silberhintergrund. Er nennt es so, weil es das Gefühl von Straße vermittelt und eine Straßengesellschaft glorifiziert.
Ein zweites Gemälde hängt im Hauptgebäude von Giardini. Der Titel ist Facebook und handelt von der Paranoia, die hinter dem Bildschirm im Internet abläuft, ohne dass der Benutzer darüber etwas weiß. Es ist mein imaginäres Bild über die Probleme mit den sozialen Medien.
Julie Mehretu
1970 in Adis Abeba geboren und heute in New York lebend.
Ihre Gemälde hängen in Giardini und Arsenale, auch in der Punta della Dogana sind einige ausgestellt. Sie leben von den verschiedenen Ebenen auf die die Linien und zeichenartigen Figuren geschrieben, dann farbig übermalt und auf der neuen Ebene geradezu eingeschrieben sind. Arbeiten, die fast etwas Kalligraphisches haben.
Kemang Wa Lehulere
1984 in Südafrika geboren, lebt und arbeitet in Kapstadt.
Schon auf dem Weg nach Arsenale stecken in einer Wiese drei spieße die von den Händen gehalten werden. Aufgereiht wie zum Kampf. In Arsenale findet man wieder die Hände, ganz ordentlich in einem Kasten abgelegt.
Shilpa Gupta
1976 in Indien geboren, lebt und arbeitet in Bombai.
Die Klanginstallation For, in your tongue, I cannot fit mit aufgespießten Blättern, auf denen einzelne Vermisstenanzeigen geschrieben stehn. Sie werden vorgelesen und mit dem Mini-Lautsprecher am Platz des Spießes abgestrahlt. Zwischendurch singen alle Beteiligten Sprecher als Antwort auf einen Einwurf. Es entsteht eines sehr dichte Atmosphäre im Raum. Man kann durch die Reihen gehen oder darin stehen, um den Klangraum wirklich zu erfahren.
Joan Jonas
1936 in New York City geboren
Moving Off the Land II
Versteckt in der Stadt findet man an einem großen eingefassten Platz die Kirche San Lorenzo. Laut venezianischer Überlieferung ist die Kirche San Lorenzo die letzte Ruhestätte des großen Entdeckers Marco Polo, dessen Familie in der Nähe wohnte. Die im 20. Jahrhundert durchgeführten Ausgrabungen brachten jedoch keine Entdeckungen menschlicher Überreste und hinterließen nur einen monströsen Hohlraum im Marmorboden des entweihten Gebäudes. Mit Ausnahme einiger besonderer Anlässe ist die Kirche seit mehr als einem Jahrhundert für die Öffentlichkeit geschlossen. Nach zweijähriger Denkmalpflege wurde das Gebäude als Ocean Space wiedereröffnet, ein Kunstzentrum, das sich der wissenschaftlichen, akademischen und künstlerischen Auseinandersetzung mit der Hohen See widmet.
Die erste Ausstellung ist die amerikanischen Künstlerin Joan Jonas gewidmet. Durch das Portal kommt man in den ersten großen und leeren Kirchenraum, an einem hohen Gerüst ein großes Tuch mit einem großen Gemälde, das den Umriss eines Pottwals in Blau und Weiß zeigt. Es ist auf diesem Gerüst montiert, „um Zerbrechlichkeit auszudrücken“, erklärte Joan Jonas. Geräusche der komplexen Click-and-Clang-Sprache des Wals füllen den massiven Raum und das dahinter liegende Kirchenschiff. Von der Decke hängen die Tücher mit gemalten Meerestieren. Am Boden ringsum stehen Spiegelplatten, die die Bewegung des Wassers andeuten. In Videos zeigt Joan Jones Performances und will damit aufmerksam machen auf die Veränderungen durch den Menschen: durch die Kunst können wir ein breiteres Publikum mit Themen wie dem Anstieg des Meeresspiegels, dem Aussterben und dem Verschwinden des Lebens in der Tiefsee erreichen. „Die Population der Pottwale war in meiner Kindheit viel kleiner“, betonte sie und betonte, dass es an uns zu entscheiden sei, ob dieses Riesensäugetier aussterben würde. Durch Schutzgesetze und internationale Übereinkommen zum Schutz der Ozeane ist die Walpopulation gewachsen. Wir können immer noch positive Veränderungen bewirken.“
Jannis Kounellis
1936 in Piräus geboren – 2017 in Rom gestorben
Retrospektive in der Fondation Prada
Im Palazzo Ca´ Corner della Regina, durch verwinkelte Gassen in der Nähe von S´Stae zu finden, wird der Besucher nicht nur ausgesprochen freundlich empfangen sonder auch gleich durch die Musik im Gebäude begrüßt. Wie im Jahre 2017 schon erlebt auch dieses Mal eine der eindrucksvollsten Ausstellungen – hier retrospektiv dem Werk von Jannis Kounellis gewidmet.
Im Piano Nobile ist eine große Fläche mit schwarzen Mänteln, Jacken, Hüten und Schuhen auf dem Boden ausgebreitet. Das Licht durch die Fenster zum Canale Grande lässt das schwarze Leder der Schuhe glänzen. Eine Etage höher sind die Schränke und Komoden aufgehängt und bedecken hier die große Deckenfläche.
Die Ausstellung bewegt sich von ersten Werkgruppen, in denen Kounellis sich mit Schrift und Zeichen beschäftigt, über die Sammlung der unterschiedlichsten Gegenstände bis hin zu den Werken mit Feuer und Rauch. So prägt die Arbeiten des Künstlers häufig das Phänomen der Verbrennung: ein „Feuerschreiben“, das das transformative und regenerative Potenzial von Flammen beleuchtet. Auf dem Höhepunkt der Mutation steht man vor der Wand nach alchemistischer Überlieferung mit der Mutation zu Gold, das der Künstle. In der Installation Tragedia civile von1975 unterstreicht der Kontrast zwischen dem Blattgold, das eine kahle Wand bedeckt, und der schwarzen Kleidung, die an einem Kleiderbügel hängt, die dramatische Natur einer Szene. In Kounellis ‚Werk fungiert Rauch, der natürlich mit Feuer verbunden ist, sowohl als Rest eines Bildprozesses als auch als Beweis für den Lauf der Zeit.
James Lee Byars
1932 in Detroid geboren, 1997 in Kairo gestorben
Die Unbegreiflichkeit des eigenen Todes zu meistern, zählt für den Menschen zu den größten Herausforderungen seines irdischen Daseins. Der amerikanische Performance Künstler James Lee Byars (1932 – 1997) setze sich mit der Unbegreiflichkeit des eigenen Todes auseinander. Immer wieder konfrontierte er das Paradox der Fragestellung: Wie kann man den Moment des eigenen Todes in der Kunst darstellen, ihn gar durchleben, und so vielleicht besser verstehen, in gewissem Sinne Linderung verschaffen? In seiner 1994 uraufgeführten Performance The Death of James Lee Byars setzte er dem Tod ein erstes Denkmal. In der Galerie Marie-Puck-Broodthaers in Brüssel begab er sich, eingekleidet in einen goldenen Anzug, mit schwarzer Augenbinde und dem für ihn typischen schwarzen Zylinder, in einen mit Blattgold überzogenen Raum. In der Mitte des Galerieraumes erwartete ihn ein ebenfalls goldener Sarkophag, auf den sich Byars zu einer Meditation niederlegte, die den Moment des Scheidens aus der Welt konzeptuell zu exerzieren suchte. Byars starb 1997 in Kairo an Krebs. Seine zum Memento Mori gewordene Performance feiert in diesem Jahr in Venedig eine Wiedergeburt. In der Chiesa di Santa Maria della Visitazione ist der vollständig mit Gold ausgelegte Raum nachempfunden. Aus Lautsprechern erklingen parallel die Klänge des libanesischen Komponisten Zad Moultaka, ‚Vocal Shadows‘, und in der Mitte des Saals erstrahlt der goldene Raum, der in der Abwesenheit des Künstlers seine Gegenwart spürbar werden lässt.
Fake News
Ausstellung von Aserbaidschan
Den zentralen Raum der Gruppenausstellung bevölkern grau gekleidete menschliche Figuren. Bei manchen sind parweise die Köpfe mit Spiralen verbunden, die den unentwegten Fluss von Meldungen in den Kanälen der Sozialen Netzwerke symbolisieren. Manche stehen auch ohne Verbindung oder mit unterbrochener Verbindung da. Ohne jeglichen Augenkontakt untereinander passiert Kommunikation in Slinky Effect nur mehr virtuell. Ulviyya Aliyeva (1986, Aserbaidschan) und Kanan Aliyev (1983, Aserbaidschan) beschreiben: „Es gibt keine Empathie und keine direkte Interaktion, darum sind sie grau und uniformiert.“
Die Unbegreiflichkeit des eigenen Todes zu meistern, zählt für den Menschen zu den größten Herausforderungen seines irdischen Daseins. Der amerikanische Performance Künstler James Lee Byars (1932 – 1997) setze sich mit der Unbegreiflichkeit des eigenen Todes auseinander. Immer wieder konfrontierte er das Paradox der Fragestellung: Wie kann man den Moment des eigenen Todes in der Kunst darstellen, ihn gar durchleben, und so vielleicht besser verstehen, in gewissem Sinne Linderung verschaffen? In seiner 1994 uraufgeführten Performance The Death of James Lee Byars setzte er dem Tod ein erstes Denkmal. In der Galerie Marie-Puck-Broodthaers in Brüssel begab er sich, eingekleidet in einen goldenen Anzug, mit schwarzer Augenbinde und dem für ihn typischen schwarzen Zylinder, in einen mit Blattgold überzogenen Raum. In der Mitte des Galerieraumes erwartete ihn ein ebenfalls goldener Sarkophag, auf den sich Byars zu einer Meditation niederlegte, die den Moment des Scheidens aus der Welt konzeptuell zu exerzieren suchte. Byars starb 1997 in Kairo an Krebs. Seine zum Memento Mori gewordene Performance feiert in diesem Jahr in Venedig eine Wiedergeburt. In der Chiesa di Santa Maria della Visitazione ist der vollständig mit Gold ausgelegte Raum nachempfunden. Aus Lautsprechern erklingen parallel die Klänge des libanesischen Komponisten Zad Moultaka, ‚Vocal Shadows‘, und in der Mitte des Saals erstrahlt der goldene Raum, der in der Abwesenheit des Künstlers seine Gegenwart spürbar werden lässt.
Ghana Freedom
Ibrahim Mahama (1987, Ghana)
Ausstellung von Ghana
Ibrahim Mahama (1987, Ghana) schlägt mit seiner Installation den Bogen zu seiner im Jahr 2015 auf der 56. Biennale Venedig viel beachteten Wandverspannungen aus alten Kakao-Säcken. Im Ghana Pavillon ist seine seit 2016 entstehende Installation A Straight Line Through the Carcass of History ausgestellt: In Boxen, die früher zum Räuchern von Fischen dienten, erinnert er an eine längst durch neue Technologien ersetzte Tradition, die jetzt das Flussökosystem bedroht. Gefüllt mit teils geruchsintensiven Objekten von geräucherten Fischen über Kleidung bis zu Schulheften, gesammelt in Industrieruinen, verborgen hinter Maschendraht, wirkt es wie ein düsteres Archiv.