Stammbuch, Poesiealbum, Freundschaftsbuch
Auch ein Facebook hat ganz alte Vorgänger. Die uralte Tradition wird nur fortgesetzt und bedient sich heute der neuen Medien. Was herkömmlich auf Papier festgehalten wurde, fristet heute im Internet ein kurzes oder auch langes Dasein. Kurz deswegen, weil es sicher nicht so viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte überleben wird, was da so in täglichen, stündlichen oder minütlichen Mitteilungen gesammelt wird. Und lang, weil es oft sicher lange Serien von Mitteilungen werden, Gespräche oder Chats, die sich in ihrem Gehalt schnell erschöpfen und vor allem nicht von den Freunden sondern von den „Buchführenden“ nur selbst geschrieben ist. Und da sie keine Autographen sind, ist die Frage, ob sie je die Wertigkeit der Stammbücher, Poesiealben oder Freundschaftsbücher erreichen werden.
Bereits im 18. Jahrhundert gab es die Tradition der Stammbücher, nicht zu verwechseln mit den Stammbäumen, die Familiengeschichten festhielten. Die Stammbücher dokumentierten im heutigen Sinne auch Netzwerke. Kommilitonen hielten in den Stammbüchern fest, mit wem sie studiert oder zusammengetroffen waren. So schrieb beispielsweise Friedrich von Hardenberg, den wir besser unter dem Pseudonym „Novalis“ kennen, fünf Zeilen aus Johann Gottfried Herders Gedicht „Das Flüchtigste“ in das Stammbuch von Jakob Christian Menzler:
Aber auch im Nebelmeere
Ist der Tropfe Seligkeit;
Einen Augenblick ihn trinken,
Rein ihn trinken und versinken,
Ist Genuss der Ewigkeit.
Im Sinne unserer Schriftkunst wäre sicher eine andere Strophe des Gedichtes passender gewesen:
Selbst die Blüthe Deines Strebens,
Aller Musen schönste Gunst,
Jede höchste Kunst des Lebens,
Freund, Du fesselst sie vergebens;
Sie entschlüpft, die Zauberkunst.
Denn selbst aus heutiger Sicht wird Handschrift, und dabei insbesondere die Autographen von berühmten Menschen, immer noch als Zauberkunst gesehen, die uns nicht unmittelbar in die Wiege gelegt wurde, sondern die wir mühsam erlernen müssen. Die Stammbücher, nicht zu verwechseln mit den Familienstammbüchern, waren die Netzwerkdokumentation der Studierenden – in dieser Zeit ausschließlich Jungen. In einem Stammbuch versicherten sich zwei oder mehrere Personen ihrer Freundschaft, indem sie sich gegenseitig ein Blatt in einem Album ausfüllten.
Diese Tradition wurde dann später eher von Mädchen in Form der Poesie-Alben aufgenommen und gepflegt. Hier trugen sich die wichtigen Personen aus Familie, Schule und Freundeskreis mit einem Spruch oder Gedicht ein. Hinzu kamen, auch im Stammbuch schon geübt, Zeichnungen, kleine Bilder und vor allem mit Glitzer bestreuten Zierbilder.
Das Besondere an Autographen ist die Ausstrahlung der Handschrift, die Bewegung der Schrift, der Ausdruck der Persönlichkeit der Schreibenden, und natürlich auch das verwendete Papier, alt, brüchig, vergilbt, die Schrift durch das Alter verblasst. Es ist natürlich kein Vergleich mit einem digital gespeicherten Text oder Bild, den man natürlich ausdrucken kann, nur ist allein die haptische Wahrnehmung auf einem modernen Papier schon völlig anders.
Von Hand Geschriebenes verströmt damit natürlich auch den Atem des Zeitgeistes und ist selbst Zeitzeuge einer vergangenen Kultur. Das Vergangene wird im Original greifbar. Sie haben damit auch einen ästhetischen Mehrwert. Alleine das solte schon Grund genug sein, persönliche Mitteilungen wieder mit der Hand zu schreiben. Und das entspricht auch einem aktuellen Trend. Es geht wieder weg von Facebook hin zu Freundebüchern. Natürlich gibt es da ein großes Angebot mit mehr oder weniger schönen Einbänden, häufig inzwischen geschrieben und verziert mit Handlettering.
Im Schrifthof haben wir seit ein paar Monaten ein Gästebuch angelegt und pflegen ist mit jeder Veranstaltung. Hier ist es alleine das Bild und der Namenszug der Teilnehmenden – so mancher hat es inzwischen aufgeschlagen und durchgeblättert. Auch das Buch erzählt nun schon eine kleine Geschichte. Vielleicht auch eine Anregung, im eignen Haus so ein Familienbuch zu pflegen und kleine und große Ereignisse einzutragen. Eine weitere Anregung ist das persönliche Tagebuch, das die eigenen Gedanken, Erzählungen und Erlebnisse festhält. Welche Wirkungen es mit sich bringt können wir demnächst einmal erörtern.