Push back
Virtuelle Virtuelle Vernissage – Eröffnet am 16. Januar 2021
Bildbetrachtung zur Vernissage von Wolfgang Heiser
Bevor wir uns gemeinsam einige Bilder der heutigen Ausstellung „Push back“ von Katharina Wagner hier im Schrifthof anschauen, möchte ich allgemein etwas zu Katharinas Malweise und ihren Inspirationsquellen sagen.
Die Inspirationsquellen von Katharina stammen aus der realen wie aus der digitalen Welt, es können Filmsequenzen, Standbilder, Fotografien, persönliche Erlebnisse und auch Fundstücke sein, die bei Katharina Wagner tiefe Eindrücke hinterlassen. Diese Eindrücke nimmt sie in sich auf, verarbeitet sie und setzt sie in einer neugefundenen Bildsprache wieder aus sich heraus.
Dieser Malvorgang ist sehr schnell und expressiv, was den Bildern eine enorme Direktheit verleiht, welche den Betrachter fordert und Fragen auslöst. Da wir im gleichen Großraumatelier auf dem Alten Schlachthof arbeiten werde ich häufig Zeuge dieser schnellen und kraftvollen Malerei. Der Ausspruch „Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen“ scheint mir in Bezug auf die Bilder von Katharina Wagner zutreffend zu sein.
Die Titel der Bilder sind oft so gewählt, dass sie Irritation auslösen und eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Bild fordern. Auch hat Sie in vergangenen Ausstellungen ihre Bilder mit Installationen verknüpft, was den Charakter des Prozesshaften steigert.
Mit den Bildern der heutigen Ausstellung „Push Back“ nimmt Katharina Bezug auf einen Spiegelbericht mit dem Titel „Frontex-Skandal“ vom 22.12.2020. Also sehr aktuell. Dieser Bericht handelt vom Zurückweisen der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zwischen Griechenland und der Türkei. Es ist wohl die innere Betroffenheit, über den Bericht mit seinen Fotografien und Videomaterial, die Katharina zum Malen dieser Bilder in so kurzer Zeit bewegt hat.
Das Bild „ausgelöscht“ ist das Titelbild der Ausstellung und bildet auch den Anfang der Serie.
Wie alle Bilder aus diesem Zyklus hat es ein Seitenverhältnis von 2/3. Welches dem klassischen Kleinbildformat entspricht und auf die fotografische Inspirationsquelle verweist. Schon auf den 1. Blick erkennt man, dass es in einer Mischtechnik gemalt ist. Zum einen der im Pinselduktus gehaltene Hintergrund in Blau und Grau Tönen und das in Airbrushtechnik gestaltete Zentrum des Bildes, welches sofort das Auge an sich zieht und eine Menge Fragen aufwirft. Offensichtlich ist dieses weiße Zentrum für die Namensgebung des Bildes verantwortlich „ausgelöscht“. Aber was wurde hier ausgelöscht? Oben rechts im weißen Zentrum scheint noch ein roter Zipfel durch, es muss also etwas Rotes gewesen sein. Vielleicht ein Schlauchboot oder eine Rettungsinsel? Dann ließe sich das Blau im Bild als Meer interpretieren und der graue Streifen vielleicht als rettendes Land am Horizont. Aber das alles bleibt Spekulation.
Betrachte ich das Bild aus der abstrakten Perspektive und lasse nur die Farben, die Strukturen und die Kontraste auf mich wirken, so werden, gemeinsam mit dem Titel „ausgelöscht“, Gefühle in mir evoziert, die sich mit Leere, Verlorengegangen, in die Tiefe gezogen, beschreiben lassen
Im Ganzen wird in mir ein inneres Bild der Unfassbarkeit erzeugt.
Aber wie am Anfang gesagt es handelt sich hierbei um meinen ganz persönlichen Zugang zu diesem Bild.
Wechseln wir zu einem weiteren Bild „Jeglicher Zwang“
Auch dieses Bild hat das Format 60 auf 90 cm. Es wird bestimmt durch eine Diagonale im Bild, die vom oberen linken Bildrand zum mittleren rechten Bildrand verläuft. Durch diese Diagonale gerät unser Gleichgewichtssinn in Bewegung und erzeugt ein wenig das Gefühl der Unsicherheit. Deutet man diese Diagonale als Horizont, was die abstrakte Bildsprache durchaus zulässt, befinden wir uns gefühlsmäßig sofort auf dem Meer. Und zwar auf einem Meer, das stark in Bewegung ist. Dieses wird unterstrichen durch die starken Farbkontraste im Vordergrund, die bei mir Assoziationen von Wellenbergen mit weißer Gischt und dunklen Wellentälern auslöst.
Das Bild erzeugt in mir ein Gefühl als säße ich in einem kleinen Boot, welches mit den Urgewalten des Meeres kämpft. Am Horizont kein Land in Sicht, nur dunkle Wellen. Das Sonnenlicht ins Braun getrübt, nur rechts oben ein helles Blau, welches ein wenig Hoffnung erzeugt, auf eine sich ändernde Situation.
Das Bild“ Sturm auf die Lieblichkeit“ unterscheidet sich von den beiden zuvor betrachteten Bildern. Waren die Ersteren in einer rein abstrakten Bildsprache gehalten, stehen hier figurative und symbolische Elemente im Vordergrund. Dominiert werden diese Elemente von einer braunen Tiergestalt, die erhobenen Kopfes mit wedelndem Schwanz und kräftigem Schritt in Richtung des Betrachters schaut und zum rechten Bildrand trabt. Das Tier trägt ein Art Geschirr, als würde es etwas ziehen, was sich in einer blauen Fläche befindet. Diese Fläche ähnelt etwas einer Wolke in die viele kleine Symbole eingeritzt sind. Wir sehen Bäume, Wolken, Sterne, die Schneeflocken ähneln, Gesichter, die an Kinder erinnern und eine stilisierte Frauen- oder Mädchengestalt. In ihrer geritzten Faktur sind sie nicht wirklich, sondern erzeugen eher den Eindruck von Erinnerungen oder zukünftigen Träumen und verleihen dem ganzen Bild eine enorme Lebendigkeit.
Links neben der blauen Fläche befindet sich kaum sichtbar eine Zahlenreihe von 1 bis 6, bei der die Zahl 2 in brauner Farbe hervorgehoben ist. Die 2 wird von einer roten Linie geschnitten, die eine Verbindung vom braunen Balken am linken Blattrand über eine Art Lasso-Bildung zum Hals des Tieres herstellt. Schauen wir in diesem Zusammenhang auf die Symbole am unteren Bildrand, die im rechten Winkel zur Zahlenreihe steht. Sie erinnern an eine Menu-leiste, wie wir sie aus You-Tube Filmen kennen. Das rote Symbol könnte für Start oder Vergrößern, die beiden Braunen für Vor- oder Zurückspulen, das nächste Zeichen für Eingeschränkt und die Noten für Klang stehen.
Fassen wir das bisher gesagte zusammen, so könnte es sich in diesem Bild um die 2. Etappe einer Film- oder Reisesequenz handeln, die ihre emotionale Vielschichtigkeit in einem Standbild ausdrückt.
Wie wir wissen ist Kunst nonverbale Kommunikation, die zwischen Werk und Betrachter stattfindet und so immer einen individuellen Ansatz hat.
Wolfgang Heiser, 16.01.2021