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Push back

Virtuelle Virtuelle Vernissage – Eröffnet am 16. Januar 2021

Bildbetrachtung zur Vernissage von Benno Kotterba

Meine Wahrnehmungen und Eindrücke

„Stellen Sie sich vor, Sie weisen einem Obdachlosen die Tür. Dann gehen Sie hinaus, sehen den Frierenden und beklagen seine „vollkommen inakzeptable Situation“. Am 04. Januar 2021 habe ich diesen Satz in einem kurzen Artikel unter der Überschrift „Flucht und Zynismus“ in der FR gelesen. Der Artikel bezog sich auf das, was heute mit dem Neudeutschen Wort „Pushback“ genannt wird.

Was ist denn damit gemeint: Push back? Natürlich gibt es den Begriff im Englischen. Push back in zwei Worten geschrieben bedeutet:

„Wenn Sie sich gegen etwas wehren, z.B. eine Kritik oder eine Änderung, lehnen Sie es ab, sie zu akzeptieren oder versuchen die Änderung zu verhindern.“

Pushback – in einem Wort geschrieben – kommt aus der Fliegerei und bedeutet: ein Flugzeug zurückschieben.

Gerade wird das Wort „Pushback“ verwendet für die Aktionen im Mittelmeer, bei denen Flüchtlingsboote aus der Türkei zurückzudrängen oder, wie es Horst Seehofer bezeichnet: die „Integrität Europas“ zu schützen.

Liebe Katharina,

als ich Dein Bild zum Thema „Pushback“ gesehen habe, hat es mich gleich eingenommen. In unseren Gesprächen entstand bald die Idee, eine Ausstellung vorzubereiten und sie heute zum Karlsruher Galerientag zu eröffnen. Eine Herausforderung – und Du bist darauf eingestiegen. Es hat Dich gereizt, an dem Thema weiterzuarbeiten.

Was hat mich an Deinem Bild – dem ersten dieser Werkgruppe so angesprochen? Zunächst war es diese weiße Wolke im Zentrum. Ein weißer Fleck. Noch offen oder überdeckt er etwas, was verbirgt sich dahinter?

Dein Auslöser für dieses Bild war ein Film und dabei das Bild einer Rettungsinsel mit Flüchtlingen auf dem Meer. Pushback – zurückgedrängt – vom Weg nach Griechenland zurück in die Türkei. Und dann, als die Nachrichten u.a. im Spiegel von dieser Aktion kamen, gab es wieder ein Push back – dieses Mal die Zurückweisung der Kritik an der Deutschen Polizei im Einsatz bei Frontex – und von Frontex selbst: Push back.

Und was bleibt offen – für mich verbirgt sich hinter der weißen Fläche die fehlende Antwort: was ist mit den Menschen passiert, die auf der Rettungsinsel waren? Das ursprüngliche Bild auf dem Foto ist ausgelöscht – sind es auch die Leben der Menschen?

In den darauf folgenden Tagen und Wochen habe ich Deinen Schaffensprozess intensiv miterlebt. Es entstand Bild um Bild. Bilder voller Ruhe, Bilder voller Dynamik und Bilder voll der Intensität, mit dem Du einem Impuls folgst. Du folgst dem Impuls des Bildes, löst es aus dem Kontext und formst es „manipulativ“ neu.

In dieser Werkgruppe bist Du nun noch einen Schritt weiter gegangen. Aus dem ursprünglichen Bild und Deiner eigenen fiktiven Momentaufnahme greifst Du Details heraus, nimmst Du neue Impulse auf und breitest ein ganzes Szenario für mich aus.

Was nehme ich wahr und wie wirken sie auf mich? Ich spüre eine Ruhe – trotz der dahinterliegenden Dramatik – und auf der anderen Seite nehme ich Bilder voller Dynamik und Unruhe wahr. Und wenn ich genau hinschaue, bemerke ich, dass Du die weiße Wolke des ersten Bildes zitierst und in anderen Zusammenhängen darstellst (Bild 1 und Bild 5). Im Bild 2 auch wieder an zentraler Stelle ein roter Fleck, aus dem noch verwischt das Wort MIND zu erkennen ist: Verstand, Gedanke, Gemüt oder vielleicht übertragen auch: Vernunft?

Dann Bild3 – die zentrale Fläche hier „himmelblau“ angelegt mit vielen Symbolen. Auf den ersten Blick sieht es für mich aus wie ein lieblicher See in den von rechts ein gehörntes Tier hineinstürmt und gestoppt wird. Mit kommt dabei der Gedanke an die Weihnachtszeit, in der wir im trauten Heim unser wichtigstes „Geschenke-Fest“ feiern, während an Europas Grenzen ein un-menschlicher Sturm tobt: Pushback.

Das Bild 4 daneben: Feuer in den Lagern oder sind es nur die Farben einer auffällig roten Rettungsinsel oder sind es die brennenden Gedanken für das unwirkliche Gefühl eines wahren Momentes.

Liebe Katharina, Dramatik in der Ruhe, die Dynamik Deiner Pinselstriche, die Linien, Striche und Farben, die wie Begrenzungen und Durchkreuzungen erscheinen, eröffnen mir immer neu Details, rufen Empfindungen wach und regen mich zu neuen Interpretationen an. Du erzählst mir Geschichten – und ich weiß, dass ich sie weiterspinnen werde, um sie in den Zusammenhang Deiner Werkgruppe einzuordnen.

Die Titel Deiner Bilder haben wir jetzt nicht genannt. Sie sind dann auf der Internetseite zu finden. Sie geben den Betrachtern vielleicht ein weiteres Rätsel auf.

Viele Dank für Deine Werke, Deine Impulse und vor allem, dass Du uns in so kurze Zeit ein so sprechendes Werk geschaffen hast. Also Push back – ich gebe Dir meinen Dank so zurück.

Benno Kotterba, 16.01.2021